Sunday, April 09, 2006

Die Bahn kommt, der Service geht...



Zu Zeiten, in denen nur noch Verrückte auf den Straßen sind und der totale Verkehrstau immer totaler wird, habe ich mich kurzerhand entschlossen es mit der Deutschen Bahn zu versuchen. Allem Abscheu zum Trotz war die ganze Fernsehwerbung bestimmt teuer und irgendwie muss die ganze Penunse ja nun wieder reingebracht werden. Ich tue meinen Teil!

Wenigstens dieses eine Mal...

Also, nicht lange gefaselt, sondern ab zum Fahrkartenautomaten und dann mal raus mit Mister Zahlemann.
Kurze Zeit später setzt Ernüchterung ein; alkoholisierte Gammler, die mit einer Horde von schäferhundgroßen Kakerlaken eine ekstatische Orgie in all diesem Reise-Chaos abhalten, haben mich bemerkt und taumeln nun zu Duzenden in meine Richtung. Erinnerungen an die schrecklichsten Szenen aus einschlägig bekannten Machwerken à la Bier and Prosting in Las Vegas oder Die Nacht der reitenden Schnapsleichen schwirren durch meinen Kopf und ich spüre eine leichte Panik in mir aufsteigen.. Nichts wie in die Bahnhofsbuchhandlung. Aber Fortuna ist mir heute wohl nicht wohlgesonnen. Bevor ich die Tür hinter mir schliessen kann werde ich noch von einer Kreuzung aus The artist formerly known as Mensch und einer vollgekotzten Pferdedecke nach etwas zu erübrigendem Kleingeld angeschnorrt. Um einige kleinere Münzen erleichtert, aber dafür nicht kontaminiert und immer noch im Besitz eines Großteils meiner Menschenwürde, stehe ich endlich vor dem Zeitungsregal. Etwas zu lesen für die Fahrt wäre ja eigentlich nicht schlecht. Mit sicherem Griff ziehe ich eine türkische Tageszeitung namens Hürriyet oder so aus dem Regal. Dazu kauft man sich dann noch wahlweise drei bis vier Dosen Bier oder eine Pulle Korn und einer entspannten Bahnreise steht nichts mehr im Wege. Die vorher genannte Kombination aus Utensilien soll übrigens dafür sorgen, daß man mindestens vier Sitzte, wenn nicht ein ganzes Abteil für sich allein hat.


Vorgehensweise Operation freier Sitz für freie Bürger

Öffnen Sie die Tür des Bahnabteils und treten sie, mit einem bereits vorher geöffnetem Bier in der Hand, hinein.
Versuchen Sie möglichst so auszusehen als würden sie torkeln, auch lautes Krakelen wäre in Betracht zu ziehen.
Nehmen Sie Peilung auf die erste Viererecke und tun sie so als müssten sie sich in selbige Richtung übergeben.
Falls bis jetzt noch keiner der Sitze fluchtartig geräumt worden ist sollten sie mit dem bereits geöffneten Bier so eine richtige Sauerei anrichten. Passen Sie aber auf das es wie ein Unfall aussieht und das Sie sich nicht selbst mit dem Gerstensaft benetzen.
Auf den gerade frei gewordenen Sitz lassen Sie sich jetzt nieder, holen die türkische Tageszeitung heraus und geben Sie vor in ihr zu lesen.
Garnieren Sie diese Inszenierung noch mit einem tiefen Zug aus der Bierkanone.
Sollten widererwartend tatsächlich noch niedere Passanten auf ihrer Sitzfläche in Spe herumlungern, dann drehen Sie sich eben einfach zu ihnen um und schreien so laut es nur geht Wo ist meine Ehre, Lan ??.
Sollte alles nicht fruchten wiederholen sie bitte alle Schritte in einem anderen Abteil. Besorgen Sie sich aber vorher noch einen gelben Plastikhelm und einen Thermoskanne. Niemand, der noch halbwegs klar bei Verstand ist will sich mit einem besoffenen, eine rechte Tageszeitung lesenden, türkischen Bauarbeiter anlegen. Sollten sie eher der nord-europäische Typ sein wird zusätzliches Haarefärben angeraten.


Mit der Ausrüstung komplett kann ich jetzt die Fahrkarte kaufen. Am DB-Schalter wird mein Enthusiasmus jedoch jäh gebremst. Die Schlange vor mir lässt darauf vermuten das hier eine Deportationsstelle des dritten Reiches ist oder das es hier irgendwas, wirklich schönes und gleichzeitig sehr nutzvolles, umsonst gibt. Noch fünf Minuten bis der Zug fährt und die Oma weiter vorne war sich nicht sicher ob´s nicht am Automaten das gleiche Ticket gegeben hätte.
Noch drei Minuten bis der Zug fährt und das Pärchen vor mir will übernächste Woche in den Harz fahren. Was zum Teufel macht ihr Elendstouristen dann bitte zwei beschissene Wochen vorher in meiner Schlange?
Endlich selbst an der Reihe versuche ich die nunfolgende Transaktion so kurz wie möglich zu halten. Ich knalle das Geld auf den Tresen und verlange eine Fahrkarte, aber Pronto Amigo! Nachdem der lahmarschige Bahn-Bedienstete dann doch noch dafür gesorgt hat, daß ich meine Bahn verpasse, kann er mir auch endlich beruhigt eine Karte verkaufen.
Bitte schön.
Boshaftig grinsend gibt der Schalter-Sklave mir meine Karte. Ich hätte jetzt nicht schlecht Lust ihm die Birne einzuschlagen und auf seine Leiche zu pissen; oder fresse ich lieber seine Leber und nehme dazu ein paar Faber-Bohnen und eine gute Flasche Chianti? Aber das ist jetzt alles viel zu viel Stress und hab ja noch einen Zug zu kriegen.

Endlich auf dem Bahnsteig stelle ich fest das ich ungefähr tausend Jahre in Schlling auf die nächste Bahn warten muss.
Als Selbige dann endlich einfährt überkommt mich kaltes Grauen. Der Zug ist so überfüllt das ich schon wieder an die NS-Deportationstelle denken muss. Ich drehe mich um und stelle beruhigt fest das hinter mir kein SS-Scherge mit einem Gewehr steht.
Als die Zugtüren sich öffnen kann ich ein allgemeines Phänomen bewundern. Anstatt erst die ankommenden Leute aus dem Zug aussteigen zu lassen versuchen die ersten Oberschlauen bereits jetzt schon sich, sammt ihren drei bis sieben Gepäckstücken, ins Innere des Zuges zu drängen.
Nachdem das Spektakel langsam abgeflaut ist versuche ich nun selbst in den Zug zu kommen. Keine Sitzplätze? Nun ja das ist ja mal ganz was Neues! Nicht mal mehr ausreichend Stehplätze? Also bitte, Deutsche Bahn ab hier wird es lächerlich! In einem wohligen Gedränge, das ich normaler Weise nur aus einem Bürofahrstuhl zur Mittagszeit kenne, versuche ich angestrengt in meiner Hurrieyt zu schmökern, aber ich fühle mich irgendwie beobachtet und kann mich einfach nicht auf das Lesen konzentrieren; außerdem ist mir die Sprache sowieso völlig fremd was das Ganze nur noch weiter erschwert.
Zur Entspannung sollte ich mir erstmal ein paar Schluck von dem Korn reinhämmern.Nach dem ersten beherzten Schluck aus der Pulle bekomme ich langsam mehr und mehr Armfreiheit. Da soll nochmal jemand sagen das der Alkoholismus keine guten Seiten hat; und auf was die Nachbarn denken gibt der Mann von Welt ja eh nichts. Noch ein paar Züge mehr und die häßliche Fratze dieser Bahnfahrt verwandelt sich langsam aber stetig in ein lustiges Grinsen mit einem leichten Hang zu einem dämonischen Lächeln.




Gute Fahrt aufs Abstellgleis.